Was hatten wir falsch gemacht? Oder - wovon waren wir ausgegangen? Ich meine, wie konnten wir glauben, jemals damit durchzukommen?
Eine verfremdete, komprimierte Frauenstimme, die nicht etwa einem Computer, sondern Karolina Sauer gehört. Davor nichts. Danach nichts. Jedenfalls für kurze, aber bemerkbare Zeit. Die Stimme hinterlässt Bangigkeit, Beklemmung, Unsicherheit. Dann spielt die Musik: Endlosschleifen, Minimal Music, die Assoziation einer hängengebliebenen Platte, auf der sich die Nadel in gelegentlichen Brüchen ruckartig weitervoranschiebt. Das eröffnet ein weites Assoziationsfeld. Zunächst mal: die fast durchweg von Streichern eingespielten Melodien, die gesampelt und in Schnipseln zu neuen Melodien und Loops gebastelt wurden (ganz ohne unterlegte Beats), sind unbestreitbar schön. Niemand muss sich anstrengen, um sich auf diese Musik einzulassen - bis in Track 9 ein paar Schaufenster oder womöglich ganz anderes in tausend Scherben bricht. Starker Tobak, würde jetzt irgendjemand von meinen Bekannten sagen. Und vorher, da sei es doch so schön gewesen. Ja, so schön, dass mensch drin ertrinkt, oder dran klebenbleibt, zuckersüß schön und ohne Bewegung.
Auch nach Track 9 wird es wieder schön. Und dass das alles immer auch ein bisschen traurig, sehnsüchtig, gar elegisch klingt, gehört ja zur Schönheit dazu. Schönheit als Vergänglichkeit, als Trost. Lamé Gold - auch dies suggeriert Glitzerglanz und Partystuff - ist Albrecht Kunze, Elektro-Musiker und Hörspielautor (zusammen mit Ekkehard Ehlers auch März und zusammen mit Nikola Duric auch B Recordings). Albrecht Kunze befasst sich in etlichen seiner Arbeiten mit Krieg, genauer: mit Entertainment/Pop und den Schnittstellen zum Krieg. Das ist das Schwierige, denn das hört man dieser Komposition aufs erste ganz und gar nicht an - außer, mensch sinniert über den Titel der CD - "The Homecoming Concert" und über die Worte der Frauenstimme: Was, wenn wir zurückkehren, zurück aus den sichtbaren und unsichtbaren Gebieten, aus den Resten von Zeilen und Zeichenketten und zurücksehen dorthin, wo alles begann? ... Was, wenn wir zurückkehren aus den Resten der Ruinen der Erinnerung, und zurückkommen dorthin, wo alles begann?
Homecoming, erklärt das Info, bezeichne die vom Kriegseinsatz zurückkehrenden Soldaten, verwundet, überlebend, traumatisiert. Den Worten nach, die anfangs und in der Mitte auftauchen, ist der Einsatz gescheitert. Der Aufstand als Parade und das Ende vom Lied. Getarnt als hidden track.Und jetzt, zerstört im Durchgang der Bewegung der Erregung, zurücksehen, und nur uns selber sehen, von hinten und in der Zeit gedehnt?
Den Worten lässt sich aber auch entnehmen, dass es hier nicht unbedingt um den Einsatz von Panzern, Flugabwehrraketen und Gewehren ging, sondern um den Körper als Mittel der Rebellion, als wäre der Tanz nicht Begleitung und Ausdruck der Revolution ("If you can't dance to it, it´s not my revolution" soll ja die feministische Anarchistin Emma Goldmann dazu gesagt haben) sondern als sei der Tanz die Revolution - oder der Kampf - selbst. Die Love Parade zwischen politischer Demonstration und Berliner Müllentsorgungsproblem mag einem und einer da ebenso einfallen, wie die Verwandlung von Songs mit Texten in wortlose Tracks, und die Beats per Minute, das Durchtanzen, Durchhalten in der Disco als Bewegung, die sich als gegen das Establishment gerichtet verstand, dabei doch Material nutzte, das - wie Computer und Internet - für den Krieg entwickelt war und im durchaus soldatisch anmutenden Ausdauereinsatz den einen oder anderen Körper genausogut ruinierte.
Besetzen/besitzen, begehren/zerstören - beides ist in Pop und in Krieg angelegt (wie auch in testcard #9 im Interview mit Albrecht Kunze nachzulesen ist.) "Bühnen und Schlachtfelder werden übereinandergelegt ... Die Figuren ... wissen, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Zunahme von Tanzflächen und Krisengebieten in den 90ern,", so beschreibt es Kunze selbst. " The Homecoming Concert" thematisiert so "HeimkehrerInnen einer gescheiterten Bewegung, die Räume tanzend besetzen wollte." So fordert Lamé Gold / Albrecht Kunze über das Gefühl den Verstand, der das Gefühl hinterfragt.