Denn nur unter Bedingungen einer Kultur, die Diskurse als individuelle Sprechakte und dergleichen zu hören befiehlt, klingen Diskurse über Diskurskanalbedingungen notwendig irre. (Friedrich Kittler)
Die Entwicklung der Literatur, der Musik und des Theaters im 20. Jahrhundert läßt sich als eine ständige Auseinandersetzung mit den verschiedenen Strategien des Narrativen beschreiben. Selbst dort, wo Kontinuität und Identität sich weitgehend aufgelöst haben, ist die Erzählung, gleichsam in Spuren ihrer Negation, anwesend.
Albrecht Kunzes Hörstück "Be My Brain" bringt die verschiedenen Strategien des Narrativen in ein produktives Spannungsverhältnis, indem er die psychologische Voraussetzung jeder erzählerischen Konvention als inhaltliches und formales Paradigma einsetzt: das Vorhandensein eines Gedächtnisses. "Be My Brain" ist die Geschichte eines solchen Gedächtnisses - seiner Einschreibungen, Umschreibungen, Störungen, Zerstörungen. Doch die story existiert nicht als Text, sondern als Textur: als ein dichtes Gewebe von Textfragmenten, Musik, Sounds. Die innere Logik vollzieht sich nicht auf dem Pfad von a über b nach c - wie unser aristotelisches Begehren es einfordern möchte. Die Textfragmente, mit denen Kunze arbeitet sind gesuchte und gefundene Objekte, Zitate aus dem Fundus eines unerschöpflichen literarischen, wissenschaftlichen und dokumentarischen Textkörpers.
Kunze insistiert nicht auf die semantischen Aspekte der Textfragmente, verneint sie aber auch nicht. Ihre klanglichen, rhythmischen und semantischen Qualitäten bilden ein Geflecht aufeinander verweisender statements, die keine Hierarchie erkenen lassen. Sound, Rhythmus, Bedeutung stehen nicht im Dienste einer übergeordneten narrativen Instanz. Sie sind die Instanz, bleiben unverbunden, aber nicht unverbindlich: das Zwingende an ihnen ist das Moment der Komposition. Die Selbst-Verständlichkeit der Sprache ist in Frage gestellt im kompositorischen Verweis auf das, was sie ist: ein konstruktives Prinzip. Fragmentierung, Wiederholung, Stottern sind die kompositorischen Mittel, die Konstruktion sichtbar zu machen: "der Ablauf gerät ins Stolpern / Unordnung auf der Tonspur", eine Grammatik der Zerstückelung.
Dieser ästhetische Ansatz wird im Bereich des Sounds, dem Unaufschreibbaren der Musik, weiter radikalisiert: Rauschen, Zischen, präverbale Laute, die Rauheit der Stimme, das Knistern einer Schallplatte (in der Endrille?), die Kakophonie von Radiowellen sind Materialien, die sich auf die Grundbedingungen der akustischen Wahrnehmung und Vermittlung beziehen. Werden sie aus dem Strom der alltäglichen Wahrnehmung herausgefiltert und isoliert, sind sie schmerzhaft und geeignet, den Wahn heraufzubeschwören. Für Albrecht Kunze sind sie elementares Mittel. kompositorischer Arbeit. Sie holen hervor, was unter dem Diktum des Narrativen und der Kommunikation weitgehend verschüttet ist: die Entropie, die vor jeder Mitteilung steht, und in die jede Mitteilung im Moment ihres Verschwindens wieder mündet.
Doch selbst noch das Verschwinden hinterläßt Spuren. So ist im Knistern einer Schallplatte das Gedächtnis der Zeit aufbewahrt, ...be my brain fordert sie, die sich nur durch Einschreibung in ein nachgiebiges Material manifestieren kann. Doch: in gleichem Maße, in dem das Gedächtnis der Zeit größer wird, verschwindet die ursprünglich gespeicherte Information von ihrem Träger.
Indem das Gedächtnis arbeitet, zerstört es sich selbst. Das ist sein dialektisches Geheimnis.