Eine Frage - wenn man Räume tanzend besetzt, rhythmisch interveniert sozusagen, ist das, was dabei entsteht, diese neue, besetzte Zone, automatisch eine Tanzfläche? Ein Interessens- oder Krisengebiet? (ich auf der Tretmine)
Aus Gold Lamé war der Anzug, den Elvis auf dem ersten Höhepunkt seines Ruhmes trug. lamé gold ist Albrecht Kunzes Soloprojekt und zentraler Knotenpunkt im Netzwerk seiner musikalischen Aktivitäten zwischen Song und Track (mit Ekkehard Ehlers als MÄRZ - s.a. SPEX 06/02, einst als Albrecht Kunze bei Disko B und als Teil von B-Recordings) einerseits und den textbasierten Hörspielarbeiten für Radio und Theater andererseits. lamé gold kennzeichnet ein spezifischer Klang, der Klang von Streichern, der Klang spätromantischer Orchestermusik, mit all den Nebenbedeutungen und Assoziationen, die in einer derartigen Instrumentierung immer mitschwingen: unmittelbare emotionale Verständlichkeit, aber auch Bombast und Pathos, Verklärung bis hin zu einem eskapistisch-regressiven Ästhetizismus. Durchaus ambivalente Gefühlsmomente. "Grundlegend für lamé gold ist die Arbeit mit dem Klang von Streichinstrumenten, die auch immer ein wenig versucht, darüber nachzudenken, was für eine Bandbreite und Wirkungsweise dieser Klang hat, und: zu versuchen zu zeigen, wie das funktioniert - warum man von Streichern auf so besondere Weise berührt wird. Es geht mir nicht darum, komplett neue Stimmungen herzustellen - obwohl das nebenbei vielleicht passiert - sondern zu fragen: wie funktioniert Größe, Sentiment, Pathos?"
Durch diese vorherrschende Stimmungslage, aber auch über ihre Produktionsweise (Reduktion auf wenige kurze Samples aus einer Filmmusik, die am Laptop neu montiert und nachbearbeitet wurden) ließe sich lamé gold problemlos in eine Reihe mit dem Kompaktschen Pop-Ambient stellen, zwischen GAS, Markus Guentner und Ulf Lohmann, die sich an ähnlichen Klangspektren und Fragestellungen abarbeiten. Albrecht Kunze will es sich und seinen Hörern allerdings nicht so leicht machen. Deutlicher als in seinen bisherigen Arbeiten als lamé gold (eine 12inch auf Studio54 und die letztjährige unbetitelte CD) stellt das zweite Album "The Homecoming Concert" Verbindungen zwischen den verschiedenen Arbeitsfeldern Kunzes her. Sowohl durch ihre Genese bedingt - entstanden ist die Musik im Zusammenhang mit den Arbeiten am Hörspiel "space is the place", in dem es um das Phänomen "Klang" geht; als Soundstück für das Radio fand "The Homecoming Concert" in leicht veränderter Form bei HR2 seine Erstaufführung -, als auch in ihrer Konzeption sollte diese Musik mehr transportieren als nur ein Nachdenken über bestimmte Klangformationen: Musik, die nicht nur einen individuellen künstlerischen Ausdruck zu vermitteln sucht, sondern auch eine Form der sozialen Kommunikation.
"Es war eine Lust da - und keineswegs eine Angst, nicht verstanden zu werden -, die Musik nicht alleine stehen zu lassen, sondern in einen anderen, weiteren Kontext zu stellen. Zumal es an mehreren Stellen ein Ausstellen von Pathos gibt, was man ja gar nicht so einfach per se schlecht finden kann, da Pathos einen in der Regel direkt und unmittelbar berührt. Ich wollte klar machen, dass ich das anders sehe, also: dass ich mit diesem Sentiment arbeite. Es wäre zu wenig gewesen, das nur vorzustellen. Im gesamten Umgang mit allem, was ich mache, ist immer eine Reflexion darüber da, wie Zeichen, wie Vermitteltes funktioniert. Das wollte ich auch hier zeigen. Es ging darum, Gedanken, Nachdenken, Sachverhalte, wie ich sie sehe, abzugeben, an den Hörer rüberzugeben. Deswegen war auch klar, dass der einleitende Text mit rein muss."
Der Kontext, um den es bei Kunze immer geht, sind seine Theater- und Radioarbeiten, seine Hörspiele: extrem wortreiche, in einem atemlos machenden Tempo dargebrachte, anstrengende und zuweilen enervierende (getreu dem Motto Heiner Müllers: Man muss die Leute überfordern) Verquickungen aus Sprache, elektronischen Tracks und Songs, die sich fast immer um einen bestimmten Themenkomplex drehen. Die Offenlegung der Allgegenwärtigkeit wie auch der strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Popkultur und Krieg, die Verstrickungen jedes Einzelnen darin, die individuelle Schuld auch der vermeintlich Unbeteiligten. Das "Homecoming Concert" lässt sich leicht in diesen Kontext stellen, als eine Musik zur Heimkehr der möglicherweise verwundeten, sicher aber desillusionierten und traumatisierten Soldaten aus einem Kriegseinsatz. Eine derartige "militärische" Interpretation des "Homecoming Concert" ist für Kunze zulässig, als alleinige Wahrheit jedoch zu kurz gegriffen. "Was generell jeden Krieg und jeden Beteiligten, also auch die sogenannten Zivilisten angeht, ist, dass es danach nicht mehr die Sicherheiten gibt, die man vorher hatte (oder geglaubt hatte zu haben), und dass es diesen Moment gibt, an dem man das auch merkt, und: dass es gleichzeitig diese Sehnsucht gibt, zu diesen alten Gewissheiten zurückkehren zu können. Oder die Hoffnung, dass diese Missionen siegreich oder zumindest sinnvoll gewesen waren. Das sonderbare an solchen pathosbeladenen Stücken ist, dass genau das immer mitschwingt: eine Trauer darüber, dass der vermeintliche Sieg immer auch eine Niederlage ist, und sei es nur eine seelische Niederlage, die ja eigentlich schon groß genug ist."
So meint "The Homecoming Concert" eben nicht nur die tatsächlich stattfindenden Konzerte für Veteranen, sondern auch das gleichnamige Live-Album Tim Hardins, aufgenommen kurz vor seinem Tod, lange nach Ende seiner eigentlichen "Karriere" als Singer/Songwriter.
"Weil darin ein Scheitern liegt, das in meinen Stücken auch immer vorkommt, nicht unbedingt eine kriegerische Niederlage, sondern das persönliche Scheitern von Hoffnungen und Sehnsüchten, das eben auch sehr häufig im Popkontext vorkommt. Ich wollte, dass es in meinem Homecoming Concert offen bleibt, ob es tatsächlich um eine kriegerische Mission geht. Ich mag es, dass das offen bleibt und immer gleichzeitig von Krieg wie auch von persönlicher Schuld gesprochen werden kann. Also: dass das zusammengedacht werden kann."
Ein Scheitern, welches immer auch eine Krise der Männlichkeit, oder allgemeiner, der Körperlichkeit, impliziert, die für Kunze in kriegerischen Auseinandersetzungen wie auch im popkulturellen Kontext besonders offensichtlich zutage tritt. "Ich denke, dass Pop mit Sehnsüchten und Begierden zu tun hat, und dass die Gesetze der Bühnengrenze ähnlich sind zu Staaten, und: dass nur ein schmaler Grat zwischen Genuss und Zerstörung von Körpern ist. Und beim Tanzen, auf einem Rave, ist es noch näher zusammen. Der Genuss kann jederzeit umschlagen in Aggression. Mich haben an Pop schon immer mehr die Geschichten vom Scheitern fasziniert, und dass das Popgeschäft eine große Körperzerstörungsmaschine ist, woran die Beteiligten natürich ihren Anteil haben. In den Stücken ist es so, dass Katastrophe, Krieg, Krise gewissermaßen das Gleiche darstellen, was heißt: dass eine Stimmung vorherrscht, die jeden Moment kippen könnte."
Ein ganz anderer Zusammenhang, der sowohl in der großen Ausnahmesituation Krieg wie auch in kulturellen Errungenschaften wie dem Rave aufscheinen kann, ist, dass beide mögliche Voraussetzung sein können für die Entstehung "Temporärer Autonomer Zonen", in denen die vorherrschende symbolische oder tatsächliche Ordnung für kurze Zeit außer Kraft gesetzt wird (die Zone in Pynchons "Die Enden der Parabel", die rechtsfreien Räume der frühen Warehouse Parties). Die Freiheiten, die aus solchen Zonen erwachsen können, sieht Kunze allerdings eher skeptisch. "Die Frage ist dann doch, welches Recht hier außer Kraft gesetzt wird. Nur das Recht des Ordnungsamts? Eigentlich sind das nie Momente, in denen die allgemeingesellschaftliche restriktive Situation wirklich geändert wird. Ich sehe schon, dass die Beteiligten für eine kurze Zeit daran glauben und da auch eine Hoffnung hineinlegen. Man muss sich dann allerdings irgendwann eingestehen, warum diese ganzen Wünsche und Sehnsüchte zusammengefallen sind oder was sie nur beschrieben haben: die Möglichkeit, länger und unkontrollierter zu feiern, ist dann doch keine so großartige Errungenschaft. Dieses Scheitern sollte man sich auch eingestehen. "
Auf eine gänzlich pessimistisch-fatalistische Weltsicht will er sich jedoch nicht festlegen lassen. "In all meinen Arbeiten gibt es den Moment, in dem sich die Leute klar werden, in welcher Situation sie sind, inwieweit sie in die größeren Zusammenhänge verstrickt sind. Das ist schon ein Anfang zu sagen: Ich bleibe erst einmal stehen und schaue mir an, wo ich gerade bin. Da ist immer die Hoffnung enthalten, dass es vom Bewußtsein des Einzelnen abhängt, dass sich etwas ändert, sich klarzumachen, was habe ich damit zu tun - denn es gibt nicht so etwas wie eine abstrakte Regierung - und dass auch wir daran beteiligt sind, wenn anderswo Kriege stattfinden und zwar dergestalt, dass wir in einer Weise beteiligt sind, die sicherstellt, dass die Kriege woanders stattfinden und nicht bei uns. Es ist ein Anfang, sich klar zu machen, dass es so ist, dass nichts ohne Grund passiert. Auch im "Homecoming Concert" ist es nicht explizit ein Krieg, um den es geht, sondern im Zentrum) steht ein Scheitern. Es gibt bei mir eine Faszination dafür, weil ich prinzipiell glaube, dass man scheitern muss. Geschichte bedeutet scheitern. Es ist überheblich und schafft Probleme: zu glauben, man könnte alles schaffen, also: hätte alles im Griff. Man überhebt sich, auch wortwörtlich, und ist dann nicht nur überrascht, sondern auch hilflos, wenn die Schwerkraft einen einholt. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass meine Arbeiten pessimistisch sind. Reflexion, sich auszukennen, sich Wissen zu verschaffen, ist der erste Schritt, nicht verzweifelt zu sein."
Keine vorgefertigten Lösungsvorschläge für die Probleme der Welt anzubieten, vielmehr Anstöße zur Bewußtwerdung. Desillusionierung als Basis für den nächsten Schritt: Nicht der schlechteste Ansatz für den Umgang mit den Komplexitäten einer zunehmend in katastrophischen Begriffen beschriebenen Welt.