Seit dem als Camp-Operette etikettiertem Stück "The Big Beat" (BR 1995) arbeitet Kunze an der Demarkationslinie von Der Soundtrack des Krieges in der Entfernung, Tanz- und Truppenbewegungen. Diesmal sind es Die Einzigen Zeugen, eine Gesangsgruppe für kontrollierte Interventionen, die durch Basislager, Versorgungscamps und Think-Tanks tourt. In "The Big Beat" übernahmen die Sweethearts of Rhythm die Truppenbetreuung und in der gleichnamigen BR-Produktion von 1997 die Golfkrieg Girls & Boys. Das klingt, als mache Albrecht Kunze immer wieder das gleiche Stück. Tut er ja auch, aber der Frankfurter Autor und Musiker hält in seiner theoretischen Durchdringung des Themas Krieg mit dessen Entwicklung Schritt. Am spektakulärsten wohl in "ich auf der Tretmine" (WDR 2001), einem Stück über eine verminte Tanzfläche, die ab einem bestimmten Grad der Ekstase die Tanzenden in die Luft sprengt. Genuss und Zerstörung fallen in einem terroristischen Akt der Auflösung zusammen. Gleichzeitig sieht Kunze eine territorialen Analogie vonTanzfläche und Kriegsschauplatz. Paradoxerweise kann man nur im bewegungslosen Verharren auf einem Punkt, dem Nicht-Territorium des Minenauslösers (denn welche Sicherheit bietet ein Ort, wenn diese allein in der Schwerkraft besteht?), die Detonaton verhindern.
In "wie wir den Krieg gewannen" treibt Kunze die Erforschung der territorialen Raumrevolutionen (Carl Schmitt) einen Schritt weiter. Statt des Literaturwissenschaftlers Friedrich Kittler ist es diesmal der Politologe Herfried Münkler, der unsichtbar über dem Geschehen schwebt und die "Neuen Kriege" erklärt, die in zerfallenden Staaten keinen begrenzten Raum mehr einnehmen und kein definiertes Ende mehr haben. Krieg und Nichtkrieg werden ununterscheidbar und gehen in einen Dauerzustand von Bedrohung über. Die Einzigen Zeugen reflektieren diese Analyse in ihrem eigenen Metier und stellen sich die Frage: Wie verhält sich Gesang zu Gewalt, also: das Flüchtige zum Besetzenden?
In Albrecht Kunzes Stücken, die ebenso sehr Hörspiele wie Features sind, finden die inhaltlich verhandelten Diskurse im akustischen Material ihre direkte Entsprechung. Repetitive Klänge von Kurt Weill bis Techno und Ambient stehen eigene Songs und gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit verfremdet Coverversionen gegenüber. Selbst die Diskurse über Krieg und Musik lassen sich miteinander verschalten, erhellen sich wechselseitig und/oder brechen sich ironisch. So beispielsweise, wenn sich in der Gruppe der Verdacht einschleicht, ihre Songs würden mittels veränderter Datenstrukturen zur Übertragung geheimer Informationen missbraucht. Im Gegensatz zu Kunzes früheren Kriegsstücken kommt es in "wie wir den Krieg gewannen" zu einer überraschenden Wendung. Das Erstaunen der Gesangstruppe selbst könnte nicht größer sein, als sie feststellt, dass sie die Möglichkeit einer positiven Intervention in das Kriegsgeschehen nicht mehr von vorne herein ausschließen mag. Sie wähnt sich schon als singende Schutztruppe mit selbstverordnetem Mandat, die sich selbst nicht darüber im Klaren ist, wie sie den Krieg nun gewonnen hat. Eine Irritation, die sie mit dem Hörer teilt.
Kurz vor Ende des Stückes trennt eine fast einminütige Pause, akzentuiert durch dezente digitale Geräusche, die Handlung von der Stimme der Schlusswendung. Als deus ex machina verheißt sie eine unerwartete Lösung am Rand von Utopie, nämlich die Möglichkeit eines dissidenten Sprechens jenseits der fortschreitenden Mobilmachung der Diskurse. Damit ähneln Kunzes Diskursgewitter, sowohl in ihrer redundanten Struktur, ihren utopischen Zielpunkt als auch in ihrem Zugriff auf das Repertoire der Popmusik, denen René Polleschs. Nur das Kunze früher damit angefangen hat und diskurstheoretisch immer noch leicht in Front liegt.