Installation Friede

Martin Büsser im Gespräch mit Albrecht Kunze
Testcard 9, 2001

1.
"Berliner Polizei beschlagnahmt ’Todeskunst’", titelte die Boulevardpresse 1974. Der frisch in Berlin lebende US-Künstler Edward Kienholz hatte durch eine „tödliche” Installation in der Vorhalle der Hochschule der Künste von sich reden gemacht. Still Live (ein Wortspiel aus „Stilleben” und „Still Alive” = noch am Leben) bestand aus einer Box, die vom Publikum nur mit einer Einverständniserklärung betreten werden durfte, sich über das Risiko, das es mit dem Betreten auf sich nehmen würde, im klaren zu sein. Die eine Hälfte des Raumes bestand aus einer bequemen Sitzgruppe, einem Armsessel und einem Beistelltisch, auf dem Zeitschriften ausgelegt waren, darunter auch Sexmagazine (Pop? – Zumindest Produkte des unbedarft sich hedonistisch und freizügig gebärdenden Kapitalismus). In sechs Metern Entfernung vom Sessel befand sich eine Absperrung, hinter der eine Black Box installiert war, ein auf den Besucher gerichtetes Gewehr mit scharfer Patrone und ein Zufallszündmechanismus, der so eingestellt war, dass es irgendwann innerhalb der nächsten hundert Jahre zum Schuß kommen würde. So gering die Wahrscheinlichkeit also war, im Moment des Besuches erschossen zu werden, ist das Risiko doch nicht einschätzbar gewesen. Der Schuß konnte jederzeit losgehen, doch durch die geringe Wahrscheinlichkeit entstand ein übermütiges Gefühl von Sicherheit.

Für das Jahr 2001 plant Albrecht Kunze das Hörspiel "ich auf der Tretmine". Darin heißt es, in einem für Kunzes Stücke typischen Selbstverweis: Ich auf der tretmine: den Auslöser scharfgemacht, weil heruntergetreten, bleibt nur das Innehalten, der bewußte Stillstand, um die Detonation zu verhindern. Ein kurzer Klick, der Vergangenheit und Zukunft von einer nun nicht mehr endenden Gegenwart abtrennt. Denn das ist der Trick bei diesem Mechanismus: erst wenn der Fuß den Auslöser wieder freigibt, wird der Explosionsvorgang ausgelöst. Davor bleibt die Freiheit der Bewegungslosigkeit.
Ist Frieden - gemeinhin als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln bezeichnet - nichts weiter als Freiheit der Bewegungslosigkeit? Betrachtet man Krieg als Bewegung, nämlich als Verschiebung von Zonen, als Neubestimmung von Territorien, dann ist das einmal eingenommene Territorium mit dem Fuß auf der Tretmine vergleichbar. Es ist kein „natürlicher“, kein befreiter Zustand, sondern es handelt sich allemal um erkämpftes Land, dessen Besitz nur vage und temporär über Verträge und Nichtangriffspakte geregelt werden muß. Frieden schaffen bedeutet, Konventionen zu erfüllen, die den Verlauf von Landesgrenzen und die Bewegungen von deren Bewohnern genau festlegen. Dies ist jedoch bereits nicht nur Resultat aus kriegerischen Bewegungen, sondern die bloß festgefrorene Variante der Kriegsbewegung. Ein Frieden, der nicht auf über Kriege geschaffenen Regelungen basiert, ist uns gar nicht mehr vorstellbar, denn es wäre ein Zustand freier, von Grenzen unabhängiger Bewegung. Der permanente Krieg, solche Bewegungen zu verhindern, tobt auch und gerade in Friedenszeiten, drückt sich in Asylgesetzen aus und in einer mordenden „Bürgerwehr“ von Neonazis, deren Verbrechen zwar offiziell geächtet, de facto aber aus der Logik des Territoriums heraus geboren werden. Der Künstler Leif Elggren thematisiert mit seinem Kunst-Staatenprojekt „Elgarland” nichts anderes als die Absurdität des nationalstaatlichen Friedens, der immer auf Ausschluß und Umpanzerung beruht: Elgarland hat alles, was ein Land benötigt, eine Verfassung, eine Nationalhymne, eine Fahne, sogar Bürger – aber kein Territorium.
Was Ed Kienholz mitten im geteilten Berlin mit seiner tödlichen Installation verdeutlichen wollte, ist relativ leicht zu erschließen. Die zweigeteilte Box spielte mit dem Gefühl von Sicherheit und Bequemlichkeit bei gleichzeitiger Anwesenheit ständiger Bedrohung. Die Produkte des Kapitalismus, seine Waren, fungieren als Bestandteile der Kriegspropaganda, nämlich zum einen, indem sie die Bedrohung über permanenter Unterhaltung vergessen machen sollen, zum anderen, indem sie als antikommunistischer Schutzwall funktionieren: Porno, Pop, Comic, Mode und Film sind im Kalten Krieg niemals ideologiefreie Waren gewesen, sondern immer auch Propaganda für die Freiheit des Westens. Der Osten, der solchen Zierrat als Zeichen der Degeneration deutete, schadete sich mehr, als er seinerzeit hatte abschätzen können. Hätten nicht Hamburg und London Phänomene wie die BEATLES und die SEX PISTOLS hervorgebracht, sondern Moskau und Warschau, wären Filme wie Blow Up und Easy Rider in der damaligen Tschechoslowakei entstanden – man wüßte nicht, wie es heute um die Weltordnung stehen würde. Das aber sind Spekulationen, die wenig Sinn machen, da es zur inhärenten Logik des Kapitalismus gehört, eben jene Kultur hervorzubringen – darunter auch die eigene Protestkultur –, die selbst noch im Dagegen die Überlegenheit des eigenen Systems bekräftigt.

2.
Solche Gedanken und Querverweise drängen sich auf, wenn man sich den Hörspielen von Albrecht Kunze beschäftigt. Albrecht Kunze, auch bekannt als elektronischer Musiker (seine Veröffentlichungen auf Disko B sind zum Teil bereits in testcard besprochen worden), außerdem als „fanatischer BEACH BOYS-Kenner” bereits Gesprächspartner von Nikola Duric in testcard #3, veröffentlichte mit "The Big Beat" (1995) und "Golfkrieg Girls & Boys" (1997) zwei Hörspiele, die sich ausdrücklich mit dem Verhältnis von Pop und Krieg auseinandergesetzt haben. Die Form des Hörspiels, bei Kunze experimentell angelegt, ist für ihn eine ganz eigene Form, „mit Text und Musik/Sound zu arbeiten. Eine Form”, so sagt er, „die bezogen auf den Text die Freiheit bietet, sich dem beim Popsong in der Regel bindenden Zwang zur Rhythmisierung und zum Reim entziehen zu können. Das hat natürlich Vorteile und macht einiges einfacher: Text und Musik/Sound müssen sich nicht notwendigerweise aufeinander beziehen, und man kann textlich weitaus komplexer arbeiten, ohne gleich in die Nähe von Überambitioniertheit und Manieriertheit zu kommen.”
"The Big Beat" und "Golfkrieg Girls & Boys" be- und verhandeln beide das Phänomen Frontbetreuung, um sich Pop und Krieg anzunähern. The Big Beat, heißt es gleich zu Beginn des Stückes, erzählt die Geschichte der Gesangsgruppe Sweethearts of Rhythm, einer Girl-Group beinahe so melodramatisch wie die Shangri-Las, die seit ihren Anfängen als kleine Mädchen bei Front-Shows und in Soldatencamps zur Truppenbetreuung aufgetreten sind.
Die Bühnengrenze (die KünstlerInnen vom Publikum trennt und vor ihm schützt) und die Kriegsgrenze werden beständig übereinander geschoben und zusammengedacht, wobei die psychischen, sozialen und politischen Felder und Landschaften links und rechts dieser zwei Demarkationslinien wichtiger sind als die Beschaffenheit der Grenze an sich. Das heißt, es geht Kunze um das, was Pop und Krieg gemeinsam ist: das Besetzen- und Besitzen-Wollen von Körpern. Und um die unheilvolle Grenze, die beide kennzeichnet: um den schmalen Grat, der Begehren vom Zerstören trennt. In "The Big Beat" heißt es dazu (unter dem Text ein happy-go-lucky-Track, um RONETTES-Samples herumgebaut):
Hi, ich bin Connie Francis. Nachdem ich in Filmen wie Where The Boys Are, Follow The Boys, Looking For Love und When The Boys Meet The Girls mitgespielt hatte und von der Beat-Welle überrollt worden war, folgte ich den Jungs und sang für die Truppen in Vietnam. Ich sang alle meine Hits.
Zurück in den USA und im Showgeschäft wurde ich das Opfer einer Vergewaltigung im Zimmer meines Motels nach einem Auftritt in der Nähe von New York.
Ich denke es ist interessant, dass die Tat nachher geschah: nach dem Krieg, nach der Show, nach dem Auftritt. Die Jungs waren wieder in der Stadt und suchten nach der Liebe. Später verklagte ich das Motel wegen Fahrlässigkeit und bekam angeblich eine Entschädigung von über drei Millionen Dollar. Für mehrere Jahre trat ich nicht mehr öffentlich auf.

Eine andere Grenze, die sich durch fast alle Hörspiele von Albrecht Kunze zieht, ist die zwischen An- und Abwesenheit. Mehr oder weniger deutlich hör- und sichtbar drehen seine Stücke sich um das Verschwinden: um den Moment, den Akt des Verschwindens, und um den Zustand des Verschwunden-Seins. Wo ist etwas, wenn es nicht mehr wahrnehmbar ist?
(Explizit behandelt Kunze dies in seinem bislang nur live gezeigten Stück „there’s a riot going on“. Am Beispiel des verschwundenen Sly Stone und dessen Song There’s a riot going on, der auf dem Cover der gleichnamigen LP mit einer Dauer von 0.00 min. aufgelistet wird.)
Besonders für "Golfkrieg Girls & Boys" heißt das: es geht auch um den nicht (mehr) wahrnehmbaren Krieg. Den unterschwellig ausgetragenen, den versteckten oder inszenierten Krieg. Und um den, den man vom Westen aus nicht sehen, nicht wahrhaben will.

3.
Über diese und ähnliche Dinge habe ich mich im Frühjahr mit Albrecht Kunze in Form eines schriftlichen Dialogs auseinandergesetzt. Teile daraus sind im Anschluß abgedruckt. Der Dialog reißt vieles an und kann natürlich keinen Eindruck davon geben, wie Kunze in seinen Hörspielen arbeitet, die sehr assoziativ und vielschichtig gehalten sind. Insofern ist der Dialog eher als Ergänzung gedacht, als Möglichkeit, ein paar Gedanken zum Komplex Pop und Krieg zu sammeln, der sich in Kunzes Hörspielen weitaus emotionaler und stets bewußt ambivalent verarbeitet findet.

MB:
Sind deine Hörspiele reine Fiktion oder gibt es dahinter historische Begebenheiten, anhand derer du arbeitest? Wenn ja, welche wären das?
AK:
Es gibt zum einen eine Vielzahl von Bezügen und Verweisen auf die sogenannte Popkultur, vor allem auf Filme und MusikerInnen- und Bandbiographien, dazu immer wieder übersetzte, vielleicht leicht bearbeitete Songtextzeilen, andererseits viele kleine Details aus der Welt der Konflikte und militärischen Auseinandersetzungen. Bezüge und Verweise, die man nicht unbedingt alle wahrnehmen und erkennen muß oder soll, sondern die für mich meine Stücke sowohl zeitlos machen, d.h. sie außerhalb einer eindeutig zu definierenden Zeit stellen, als auch sie mit Vergangenheit und Gegenwart verbinden. Zum anderen besitzt fast jedes Stück tatsächliche Begebenheiten, die zusammen mit dem Titel jeweils den Ausgangspunkt darstellen:
- Bei "Be My Brain", das sich um die Zerstörung und Selbstzerstörung von Gedächtnissen dreht, waren es die Luftbombardements der Städte während des 2. Weltkrieges und der sich selbst auflösende Elvis.
- Bei "Slight Rushing Movements" die Morde der Manson-Familie zusammengebracht mit Edgar Allen Poe’s Die Maske des Roten Todes, gelesen als Aids-Geschichte;
- Bei "The Big Beat" eine „Anekdote” aus dem Tour-Leben der ANDREWS SISTERS: Bei einem Auftritt 1945 vor amerikanischen Soldaten in Neapel werden sie zu ihrem Ärger unterbrochen und sollen von der Bühne herab eine Meldung des US-Oberkommondos verlesen. Die Meldung lautet „Der Krieg ist vorbei”, was zunächst niemand der GIs glauben will, weil es ein Satz von einer Entertainment-Bühne herab gesprochen ist. Erst nach einer Weile bricht ohrenbetäubender Jubel aus. Dass der Krieg für die amerikanischen Soldaten vorbei ist bedeutet, dass kurz davor die Atombomben auf Japan abgeworfen worden sind.
- Bei "Golfkrieg Girls & Boys" war es natürlich der Golfkrieg – als Intervention um schwindende Rohstoffe –, und die Ausweitung der Tanzflächen in den 90ern (bis hin zur Loveparade) zeitgleich mit der Zunahme der Krisengebiete und Schutzzonen.
MB:
Siehst du eine Verbindung zwischen Popkultur und Kriegspropaganda? Fakten sprechen ja für eine solche Verbindung, begonnen bei der Instrumentalisierung von Film und Schlager durch die Nazis. Andererseits: Wo verläuft die Grenze? Kann es Popkultur geben, die sich nicht propagandistisch vereinnahmen läßt? Und: Ist „ernste” Kultur dadurch weniger mißbrauchbar?
AK:
Ohne hier auf den Begriff „Pop” näher einzugehen: wenn du unter Popkultur die Summe der populären Darstellungsformen und Mythen oder, salopp gesagt, die Welt der vereinfachten Zeichen meinst, dann liegt es in der Natur von Popkultur, dass sie für jegliche Art von Propaganda benutzt werden, bzw. ihr dienlich sein kann. Die Einbindung von moderner Popkultur in Kriegspropaganda fand im 2.Weltkrieg aber eher auf Seiten der US-Amerikaner statt, die wirklich alle beliebten Medien bis hin zum Zeichentrickfilm an die Front geschickt haben.
Natürlich macht es mehr Sinn, Donald Duck gegen Hitler kämpfen zu lassen und Popstars und Schauspieler zur Frontbetreuung zu schicken, einfach, weil sie mehr Menschen ansprechen als die „ernste” Kunst, das heißt aber nicht, dass diese politisch nicht ebenso verwendbar ist. Keine Klassikerinszenierung in Diktaturen war und ist frei von der jeweils vorherrschenden Ideologie, ganz einfach, weil ein Wesenszug von „Kunst” ist, dass sie Interpretationen zuläßt, bzw. nur über solche erfahren werden kann.
Die Grenze, nach der du fragst, wird von der Absicht beschrieben, die mit dem jeweiligen Einsatz von (U & E-)Kunst gehegt wird. Natürlich gibt es keine absichtslose Kunst und natürlich ist die meiste Kunst generell ideologisch, weil sie (markt)systemtragend ist. Wenn es aber erstmal speziell um die Grenze zwischen der Möglichkeit und Unmöglichkeit geht, Pop für Kriegspropaganda zu verwenden, so steckt nicht diese Grenze Pop ab, sondern der Wille, die Absicht desjenigen, der Pop verwendet.
Ein Beispiel: Im Juni ’99 – kurz nach der Bombardierung des Kosovo - erschien Mariah Carey’s Video zu I Still Believe, der sie bei einem (echten / inszenierten?) Truppenbetreuungsauftritt vor Soldaten der US-Luftwaffe zeigt. Mit teilweise bildgenauem Zitieren von Marilyn Monroes Auftritt vor Soldaten in Korea (der sie erst zum richtigen Star gemacht hat) versendet das Video die ganze Laufzeit die Analogie: begehrter Frauenkörper = begehrtes Land. Und weil Mariah Carey gut ist, sind beide Begehren gut und damit gerechtfertigt. Und es gibt nur eine Richtung, in die diese Analogie zielt: den Frauenkörper können die Soldaten nicht bekommen (so sind die Bühnengesetzte: man darf die Bühnenkante nicht übertreten), also holen sie sich das Land. Folgerichtig sieht man am Ende des Videos, nachdem Mariah Carey ihren Auftritt beendet hat, die Soldaten in ein Transportflugzeug steigen, das sie zum Einsatz bringt. Das Video zeigt, dass Pop dann propagandistisch verwendet werden kann, wenn man sich der Mittel von Pop – im Sinne einer Massenkultur – bedient. Der Mittel, mit denen Pop arbeitet. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen diesem Mariah Carey-Video, und dem Einsatz von Fotos, wie ihn Verteidigungsminister Scharping bei Pressekonferenzen kurz vor und während der Bombardierung des Kosovo betrieben hat. Diese Verbindung, also das, was beiden gleich ist, zeigt, warum und wie man Pop auch kriegstreibend einsetzen kann, wenn man es nur will. Zeigt, dass in den Mitteln von Pop auch eine manipulativ destruktive Kraft steckt. Das heißt nicht, dass Pop dumm macht, sondern dass es eine Absicht, ein Merkmal von Pop ist, begehrliche Wünsche zu erzeugen, bzw. zu wecken. Wünsche, die das Begehren ebenso auf das Zerstörerische richten können.
MB:
Von Hendrix als Soundtrack für die GIs bis zu Girl-Groups an der Front: Wird Pop in solchen Fällen zum Soundtrack, der suggeriert, für ein freies Land zu kämpfen? Also patriotische Stimulanz, von wegen: Ein Land, das eine solch „freiheitliche“ Kultur hervorbringt, ist es wert, verteidigt zu werden?
AK:
Diese Zusammenführung von Krieg und Pop, dieses fast schon romantische Entwerfen von Pop als möglichem Soundtrack von Krieg, um auf angenehme Weise die Zerrissenheit des Westens darzustellen – Pop: der an der Heimatfront gegen den Krieg kämpft und zugleich im Feindesland den eigenen Soldaten zur Seite steht – entspringt ja dem Vietnamkrieg, beziehungsweise (und vermutlich weit mehr) den Filmen über den Vietnamkrieg. Ein Krieg, der seine Hochphase Ende der 60er hatte, einer Zeit, als Rockmusik fest mit dem Begriff „Freiheit” verknüpft wurde. Rockmusik als Soundtrack des Krieges klingt für mich daher eher nach: „es sind die Freiheitsbringer, die in euer Land einfallen, fürchtet euch nicht, denn sie haben das Recht (die Freiheit) auf ihrer Seite.“ Zumal der Vietnamkrieg von den USA aus gesehen ja ein Angriffskrieg war.
MB:
Wie erklärst du dir den Wandel, mit dem die Öffentlichkeit auf Kriege reagiert, die vom Westen geführt werden? Warum war der öffentliche Protest beim Golfkrieg bereits weniger aggressiv und schließlich, beim NATO-Einsatz im Kosovo, fast gänzlich auf Seiten der NATO? Warum gab es 1969 Rocksongs gegen den US-Einsatz in Vietnam und warum sangen z. B. die Scorpions und BAP 1999 für die NATO-Einsätze?
AK:
Zur 2. Frage: Mit Pop könnte man da antworten „it’s the singer not the song“, also: die populären, die künstlerischen Äußerungsformen können sich nicht sperren gegen ihre An- und Verwendung, und dies um so weniger, wie ihre Benutzer ein Publikum für diese Verwendung finden. Wenn es in der Frage aber speziell um „Rock”-Songs geht, dann ließe sich diese Umwertung von Rock, wie du sie siehst, sicherlich anhand der Karriere der Grünen anschaulich erklären, deren Geschichte ja parallel zu der von BAP verläuft.
Mitte / Ende der 60er mit den 90ern pauschal zu vergleichen ist sowieso eine problematische Sache, was nicht heißt, das Ausbleiben von Protest verteidigen zu wollen, sondern, dass damals aus einer ganz anderen gesellschaftlichen und ökonomischen Position heraus protestiert wurde, protestiert werden konnte.
Aber natürlich gibt es eine generationsübergreifende Protestmüdigkeit, weil eigentlich an allen Ecken (Arbeitsplatz, Sozialleistungen, Umwelt etc.) lokal und global nichts mehr richtig funktioniert und nicht gerade Aussicht auf Besserung besteht. In so einer Stimmung Krisen und Konflikte militärisch zu regeln ist einfach einfacher, als zu den Zeiten, als die westlichen Länder im Wohlstand gelebt haben (und auch die Linken es sich noch leisten konnten, schon damals relevante Probleme zu ignorieren): die sogenannten Kriege werden zu einem Problem unter vielen.
MB:
Siehst du eine Tendenz, dass Kriege inzwischen selbst als Pop-Events medialisiert werden, als Spektakel? Oder hältst du das, wenn es denn zutrifft, für kein unbedingt neues Phänomen?
AK:
Ich würde das nicht unbedingt Pop-Events nennen, eher etwas einfacher: Show machen. Etwas anstellen, was nach Krieg aussieht, nach „gerechter” Reaktion des Westens, weil man nach jahrelang verfehlter und / oder vernachlässigter Diplomatie jetzt – nach einer scheinbaren „das Faß zum Überlaufen” bringenden Aktion des diplomatischen Gegenübers – für die Öffentlichkeit eine „starke” Reaktion braucht.
Das hört sich plakativ an, aber es fällt doch auf, dass große, die Welt bewegende militärische Eingriffe wie gegen Irak und Serbien am politischen Status Quo dieser „Feindesländer” überhaupt nichts geändert haben. Was ja, bei der Übermacht des Westens, nur bedeuten kann, dass diese Eingriffe auch gar nichts ändern sollten, sie also bloß ein bißchen wie Krieg aussehen sollten, anstatt einer zu sein, denn ein Krieg hat ja bekanntlich die Niederlage und die zumindestens politische Vernichtung des Feindes zum Ziel.
Da fällt dann auf, dass bei beiden Eingriffen weitgehend auf Luftangriffe gesetzt wurde, vermutlich, weil startende Flugzeuge und Explosionen in der Nacht im Fernsehen nach Krieg aussehen, ganz gleich, was überhaupt beschossen wird. Es hört sich eigentlich wirklich zu einfach an, aber wenn man sich erinnert, fällt einem auf, dass es immer wieder bloß um Lichtblitze in der Dunkelheit ging.
MB:
Es gibt ja in der elektronischen Musik Tendenzen zur Auflösung herkömmlicher Strukturen: die Sounds werden amorph, sind von sogenannten Störgeräuschen durchsetzt und verzichten weitgehend Beats. Eine solche Musik ließe sich auf zwei verschiedene Arten deuten. Einmal kann man darin ein „Weich-Werden” sehen, etwas Amorphes, das sich jeglichem kriegerischen Gestus verweigert. Zum anderen entstammt das musikalische Material häufig einer Technologie, wie sie auch im Krieg eigesetzt wird. Kommt es da zu einer Art Entmilitarisierung des Militärischen?
AK:
Dieser gerätetechnische Stammbaum von Popmusik ist ja schon länger bekannt. Die erste große Zusammenführung von Krieg und Pop bzw. Kriegs- und Poptechnologie hat meines Wissens Friedrich Kittler in den 80ern gemacht, der die militärische Durchdringung der westlichen Gesellschaften anhand eines ihrer angeblich höchsten Güter - der für „Freiheit” stehenden Jugendkultur - zeigt. Und ebenso bekannt ist, dass das wichtigste Popinstrument der Gegenwart, der Computer, seine rasante Entwicklung intensivster militärischer Förderung verdankt und dass das Internet ursprünglich ein strategisches Info-Net für den atomaren Ernstfall war.
Allein diese also nach wie vor bestehende technische Verbindung zwischen Pop und Krieg zeigt, dass gerade das Gegenteil einer Entmilitarisierung stattfindet. Natürlich ist es in gewisser Weise übertrieben zu sagen, man mache mit Krieggerät Musik, aber dass die fortschreitende Technisierung der Kriegsführung dabei ist, diese militärischen Einsätze gesellschaftsfähig zu machen (weil sie angeblich „sauberer und unblutiger” seien) ist auch eine Folge davon, dass die Popkultur einen nicht geringen Anteil daran hat, Computer hip und damit „gut” zu machen. Vor allem trifft das auf die Special Effects im Kino und Fernsehen zu. Dazu kommt, dass die Technikbegeisterung schon immer eine Schnittstelle von Jungs, Männern und Soldaten war.
Was die amorphen Sounds anbelangt und die Störgeräusche, so darf man nicht vergessen, dass die Sound-Entwicklung von Popmusik einerseits schon immer dem Angebot der Geräteentwickler und -hersteller gefolgt ist, andererseits Popmusik und ihre ProduzentInnen von jeher dafür offen waren, Klangliches aus anderen Kontexten zu integrieren. Was beides zusammenhängt und sich gegenseitig befruchtet. Eine Vielzahl dieser sogenannten Laptopmusik entspringt daher schlichtweg dem Angebot von Plug-Ins. Also ihrer Anwesenheit, nach der die wenigsten gefragt hätten. Das ist aber überhaupt nicht abwertend gemeint (mein letztes Hörstück "suchen / ersetzen" besteht fast gänzlich aus diesen Sounds). Was ich vereinfacht damit sagen will ist, dass ich es für eine wackelige Sache halte, eine Psychogeschichte von Popmusik aus ihrer Soundlichkeit heraus schreiben zu wollen. Das ist zwar reizvoll, aber hat einfach zu viele Fallen.
Die Entmilitarisierung von Popkultur, nach der du gefragt hast, wäre vielleicht darüber möglich, bzw. das wäre ein Anfang, dass sich Popkultur vom reinen Partygedanken löst, der im Laufe der 90er die meisten ihrer Felder besetzt hat.
Vor allem auf Clubmusik trifft das zu und vor allem dort ist das so ärgerlich und schmerzhaft, weil in dem Gedanken, den Club als sozialen Ort zu sehen, so viele Möglichkeiten stecken, die über die kurzfristige Befriedigung der eigenen Tanz-, Feier- und Abhängbedürfnisse weit hinaus gehen. (So wichtig und verständlich das selbstredend ist.) Die Party als einziges Ziel zu haben, wie es in den meisten Clubs der Fall ist, ist mittlerweile bloß noch egoistisch und unsozial. Dass eine Sache nur deswegen gut ist, weil ich mir selber Gutes tue und all die anderen, die auch an diesem Ort sein dürfen, auch, reicht und funktioniert einfach nicht mehr.
In "Golfkrieg Girls & Boys" (einer Tanztruppe für Krisengebiete) ist immer wieder auch von Verantwortung und Schuld die Rede. Natürlich sind das große Worte, aber das kann man ab und zu machen und schließt mich selber und meine Arbeit ja mit ein. Es ist einfach kein Zufall, dass seit den 90ern die Tanzflächen und Krisengebiete zugenommen haben – die Eingrenzungen und damit die Ausgrenzungen, was beides nur andere Formen von Kriegsführung sind.